Große Kinder, große Einflüsse

Ich bin wie jedes Jahr nach dem gemeinsamen Familienurlaub (in diesem Jahr die Open Stage Tour) in Begleitung meiner (fast) erwachsenen Kinder inspiriert von ihren Einflüssen und Gedanken in den Alltag zurückgekehrt.

Zwei meiner drei Kinder sind bereits ausgezogen und studieren in anderen Städten, der dritte wird im nächsten Jahr sein Abitur machen und ebenfalls ausziehen. Aus diesem Grund ist der Sommerurlaub für mich seit Jahren eine besondere Inspirationsquelle, da ich zwei bis drei Wochen mit meinen erwachsenen Kindern auf engstem Raum lebe und dadurch die Möglichkeit bekomme, ihre Gedanken und ihr Wissen in mich aufzunehmen und für mich auszuwerten.

Jedes der drei hat natürlich besondere Begabungen und beeinflusst mich auch ganz spezielle Weise. Durch den Jüngsten habe ich zum Beispiel erst den Mut gefunden diesen Blog zu schreiben, da er mir mit viel Geduld die grundlegenden Wissensgrundlagen beigebracht hat und immer noch bei Problemen zur Seite steht. Meine Berührungsängste in Bezug auf soziale Medien, außerhalb des mir bis dahin bekannten Facebook, wurden durch seine Erklärungen und Einblicke allmählich reduziert und dadurch ist der Gedanke an einen eigenen Blog immer konkreter geworden.

Mein älterer Sohn gibt mir Einblicke in viele politischen Gedanken, die mir befremdlich vorkommen würden, wenn sie mir von anderen Personen erklärt würden. Durch die emotionale Nähe zu ihm und meinen anderen zwei Kindern habe ich aber die Chance, möglichest unvoreingenommen neue Einstellungen und Ideen anzuhören und dadurch auch selbst neue Gedanken bei mir zuzulassen.

Gerade während der Open Stage Tour habe ich auf diese Weise neue Interpretationen der friedlichen Revolution bzw. Wiedervereinigung bekommen, die mich zum Nachdenken gebracht haben. Ich werde mich damit wohl weiter beschäftigen müssen, um bei der nächsten Diskussion besser mitargumentieren zu können (ergebnisoffen).

Meine Tochter beeinflusst mich auf vielen Ebenen, die zurzeit wichtigsten Themen sind Feminismus und Beautytipps (klingt fast widersprüchlich). Ich hielt mich immer für emanzipiert, da ich schließlich in den aufgeklärten 80er Jahren groß geworden bin. Durch Gespräche, Tweets und Buchvorschläge erarbeite ich mir aber gerade einen neue Sicht, bei der ich sehr schnell gemerkt habe, dass meine Vorstellung von Gleichberechtigung manchmal nur gedankliche Verdrängung der Realität ist. Außerdem kann ich mich, als weiße priviligierte Mittelschichtsfrau, nicht als Standard für den aktuellen Stand der Gleichberechtigung ansehen. Diese Anregungen meiner Tochter wird mich noch intensiv beschäftigen, weil sie mich einerseits natürlich als Frau sehr betrifft. Andererseits spricht die Auseinandersetzung mit dem Thema auch mein schlechtes Gewissen als Sozialarbeiterin/Sozialmanagerin an, die es anscheinend gut verdrängen konnte, dass wir von wirklicher Gleichberechtigung und Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern weit entfernt sind. Ich habe die Probleme von Frauen bisher gerne individualisiert (wenn sie wollten, könnten sie doch). Daran muss und werde ich arbeiten.

Zum zweiten wichtigen Thema Beauty würde ich sogar soweit gehen, zu behaupten, dass ich mich ohne meine Tochter noch schminken und pflegen würde, wie vor 30 Jahren. Sie eröffnete mir den Zugang zu neuen Kosmetikmarken, ich lernte die asiatische Pflegeroutine kennen (10 Pflegeschritte am Abend klangen für mich vor einigen Jahren noch utopisch) und bekam Zugang zu Beautyblogs, die mich zu neuen Produkten oder Routinen führten.

Der Artikel „Ein bisschen Erwachsen“ von Leonie Feuerbach in der FAZ vom Januar 2017 beleuchtet das Phänomen der guten Generationsbeziehungen aus Sicht der Kinder und ergänzt meine oben geschilderten Beobachtungen sehr eindrucksvoll. (http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/ueber-gute-beziehungen-zwischen-eltern-und-erwachsenen-kindern-14705264.html) Feuerbach schreibt, dass der Wunsch der Rebellion und Abgrenzung der jungen erwachsenen Kinder für diese oft nicht mehr wichtig und aktuell ist. Das Leben der Eltern wird nicht selten als Vorbild angesehen, bei Problemen im Alltag werden Eltern zur Lösung kontaktiert.

Mich überrascht diese Entwicklung nicht, da sich die Lebensentwürfe der Generationen immer weniger unterscheiden. Das fängt bei der Kleidung an (welche Mutter läuft heute noch in Kitteln durch das Haus, wie es noch meine Oma tat), geht über die Nutzung der selben sozialen Medien (dort sind Eltern mit ihren Kindern „befreundet“) und wird bei lebenslangem Lernen fortgeführt (ich habe zur gleichen Zeit meinen Master geschrieben, wie meine beiden älteren Kinder ihren Bachelor).

In meiner Rolle als Kind meiner Eltern habe ich allerdings bereits ähnliche Erfahrungen gemacht, auch wenn diese damals häufig von meinem sozialen Umfeld in Frage gestellt wurden. Meine Abgrenzung zu meinen Eltern hat sich ebenfalls immer in Grenzen gehalten, da ich die Notwendigkeit dazu nicht sah. Einige der schönsten Feiern habe ich gemeinsam mit meinen Eltern gefeiert, erfreuliche und traurige Ereignisse immer auch mit ihnen geteilt und ihrer Unterstützung war ich mir dabei immer sicher. Die früher als wichtig erachtete Loslösung von den Eltern als Schritt zum Erwachsenenwerden hat sich mir deshalb nicht in allen Lebensbereichen erschlossen. Die finanzielle Unabhängigkeit war mir natürlich wichtig und ist es für meine (noch studierenden) Kinder hoffentlich auch, der Sinn des Verzichts auf das Vertrauen und die Verlässlichkeit der eigenen Eltern ist mir allerdings bis heute nicht klar geworden.

Bei der obigen Aufzählung der Einflüsse meiner Kinder auf mich habe ich bestimmt noch Themen vergessen, aber sie verdeutlichen die Bedeutung meiner „großen“ Kinder auf meine persönliche Weiterentwicklung. Vielleicht geben sie mir dadurch unbewußt die Einflüsse und Beeinflussungen, die ich durch die jahrelange Erziehung meiner Kinder auf sie hatte, zurück. Es wäre dann natürlich schön, wenn ich sie damals auch zu klugen Gedanken angeregt hätte.

 

Bis dahin, Eure fifty-something

 


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